Paul Seilers ZARAH LEANDER Archiv

roter Pfeil A R C H I V 1978-81 - 10

Alle Bilder, Fotos, Zeitungsausschnitte etc. aus den Jahren 1978-81



 


JAN GABRIELSSON WAR  ÜBER 20 JAHRE MIT ZARAH LEANDER BEFREUNDET:

Komm schnell zurück, Zarah!


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 Übersetzung des obigen Textes:
 
Es schmerzt, in den Schlagzeilenrubriken über Zarahs Krankheit im vorigen Herbst zu lesen. Plötzlich wurde vieles andere so unwichtig. Zarah liegt noch immer im Krankenhaus, aber sie fühlt sich viel, viel besser. Es geht langsam aufwärts. Ihr Lebensmut und ihre Lebensfreude sind zurückgekehrt.             

  Es ist in Schweden so einsam und leer geworden. Die großen, strahlenden Persönlichkeiten sind eine nach der anderen verschwunden. Übrig ist nicht viel mehr als die Mittelmäßigkeit auch durchschnittlich begabter Menschen.

   Aber immer noch haben wir doch Zarah, diese värmländische Föhre mit dem brennenden roten Licht des Sonnenuntergangs in der Krone. Diesen Herbst haben wir besonderen Grund, ihren Mut zu bewundern, ihre Stärke und Zähigkeit. Wir wissen schon längst, dass sie in unseren Herzen unsterblich ist, aber wir glaubten in unserer Einfalt, sie wäre auch unverwüstlich.

   Deshalb bereitete es so unerwartet Schmerz, als man vor einiger Zeit in den rabenschwarzen Schlagzeilenrubriken über ihre Krankheit las. Dem politischen Geschnatter hörte man nicht mehr länger zu, es wurde plötzlich ganz gleichgültig, wie man um die Stimmen im Reichstag stritt --- nun galt es einer einzigen Stimme. Dieser unwahrscheinlichen Stimme.

   Genau betrachtet, ist diese Stimme ein Streich der Natur. Arne Hülphers erzählte, glucksend vor Vergnügen, dass einmal ein Arzt Zarahs Hals und Stimmbänder untersucht hätte:  --- Er fiel fast in Ohnmacht, als er sah, was er sah. Er hatte nie das Gegenstück gesehen, auch nicht darüber gelesen oder über einen solchen Hals reden gehört. Als er sich beruhigt hatte, sagte er: „Verzeihung, dass ich das sage, aber Frau Leander ist im Hals tatsächlich missgestaltet!“

   Vielleicht war das eine Lügengeschichte, die Arne Hülphers erzählte, vielleicht auch nicht, während „der Hals“ selbst Lachen durch den Raum rollte. Denn dieser missgestaltete Hals hat bei weitem mehr ausgehalten als ein „normaler“ Hals schafft: er hat gewettert und geflüstert, geklagt und gejubelt, gelacht und geweint für Millionen Hörer in fast fünfzig Jahren, beinahe einem halben Jahrhundert. Das ist die unglaubliche Wahrheit.

   Somit ist Zarah Leander, einsam, aber stark, kleinster gemeinsamer Nenner für viele von denen, die alles in allem die moderne schwedische Unterhaltungsgeschichte bilden. Die Feststimmung und das Gelächter, die hier die Polardunkelheit beleben können, werden oft

mit drei Legenden von Bühne und Podium verknüpft: Ernst Rolf --- Gösta Ekman --- Karl Gerhard. Bei allen dreien war Zarah Leading Lady, Primadonna, Erste Dame --- wie man es nun nennen will. Wenn man den Gedanken zu Ende denkt, schwindelt es einem. Im Herbst krönte sie ihre Bühnenkarriere mit einer führenden Rolle im „Lächeln einer Sommernacht“, einem Stück aus dem Beginn von Ingmar Bergmans schriftstellerischer Arbeit. Von Ernst Rolf zu Ingmar Bergman ist die Spannweite ansehnlich, nur „missgebildete“ Stimmbänder scheinen einen solchen Festigkeitstest zu schaffen . . .

   Haben wir richtig verstanden, worum es sich handelt? Dass Zarah das Bett hütet. Müssen nicht die schwedische Telefon-und Telegrafenverwaltung und die Blumenvermittlung jeden Tag extra Personal abkommandieren, um unser Angebot von freudiger Dankbarkeit zu ihr ans Krankenbett zu bringen? Ich brauche nur selbst in mich zu gehen, um mich wegen der unbotmäßigen Verhinderung zu schämen --- deshalb schreibe ich das hier.

   Aus verschiedenen Gründen habe ich mich nie zu Zarahs engstem Freundeskreis gerechnet. Ich wage wohl zu behaupten, dass ich sie besser kenne als manche, aber doch bei weitem schlechter als die wenigen meist Vertrauten. Wir waren seit 1957 ganz einfach Arbeitsfreunde, machten Radioserien und TV-Programme, Zeitungsartikel und ein Buch. Zwischen der Arbeitszeit dauerten die Pausen lang, aber sie waren doch nur umrandet wie Nebensätze.

   Ende der Vierzigerjahre hörte ich zum ersten Mal mit offenen Ohren Zarahs Schallplatten. Das waren ein paar abgenutzte Steinplatten, aber aus dem Geknister stieg eine seltsame Anziehung, die mich mit Verwunderung erfüllte.

   Später konnte ich hören, was Zarahs „bester Schwiegervater“, John Forsell, meinte:  --- Du hast zwar keine Stimme, liebe Zarah, aber du hörst dich verdammt gut an!                      

Ich halte gar nichts von Heldenbaritonen und Opernchefs, denn der Geschmack ist so verschieden. In meinen Ohren hat Zarah mitunter ziemlich elend geklungen, besonders auf den früheren Schallplatten. Aber was für eine große Stimme! Das ist die Stimme einer Huldra (Anmerkung: weibliche Form der Trolle), die vor Lust lacht und in Qual klagt, dass Kohlenmeilerplätze beben und Ameisen weinen. Forsell irrte sich: Stimme ist gerade das, was sie hat. Die Stimme!

   Die erste Begegnung mit der Berühmten fand an einem feuchten Spätherbsttag 1957 statt. Eine kleine, tapfere Patrouille vom Fernsehen hatte den Weg zum Gut Lönö gefunden. Es war gedacht, dass wir Fernsehgeschichte schreiben sollten. Bis dahin hatte sich Zarah nämlich eigensinnig geweigert, im Fernsehen mitzuwirken, und heute weiß ich, warum. Sie wehrt sich immer gegen neue Anforderungen, sie beginnt alle Verhandlung mit einem blässlichen „Nein!“ aus reiner Selbstverteidigung. Diesmal hatte sie sich doch noch entschlossen, „vielleicht“ zu sagen.

   Wir zitterten innerlich vor Kälte, die von der Angst kam. Aber die Tür ging auf und es gab kein Zurück mehr. Auf der Treppe stand ein unheimliches Geschöpf in einem unbeschreiblichen alten Schlafrock, abgenutzten Pantoffeln, ein Ungeheuer mit Feuerquallen anstelle von Haaren und ein Paar kurzsichtigen, halb geschlossenen Augen. Der Rest bestand zumeist aus Sommersprossen. Es rasselte in ihrem Hals wie bei einem Steinbrecher:

   --- Was glotzt ihr so? Habt ihr noch keine Leute gesehen? Kommt herein und streift euch die Füße ab. Hier ist frisch geputzt.

   Ich glaube zu wissen, was sie mit diesem abschreckenden Auftritt sagen wollte: „Bin ich es, die ihr im TV sehen wollt, wie ich zum Gespött aller Leute werde? Ihr seid nicht ganz bei Trost! Aber bitte sehr, wir können ja über die Sache reden.“ Sicher genoss sie ein Lächeln in unseren Mienen, unsere Gesichter waren leicht ablesbar wie ABC-Bücher. Einige Stunden später konnten wir versichern: Wir sind doch beinahe menschlich! Und damit war die Sache klar.

   Man hat oft gesagt, halb im Ernst, halb zum Spaß, Zarah sei bequem. Sie mache gute Miene zum bösen Spiel, weil sie sich bewusst sei, in ihrem Beruf fünfzig Jahre hart und ausdauernd gearbeitet zu haben. Gewiss kann die Privatperson Frau Hülphers bequem tätig sein. Aber die Künstlerin Zarah ist in der Arbeit ein Ungeheuer. Sie erinnert mich an eine alte Bauernhütte im Bergbaugebiet. Die Hütten werden jede Saison in einigen kurzen Zeitabschnitten angezündet --- aber wenn sie brennen, dann brennen sie so, dass die Feuergarben gegen den Nachthimmel sprühen und man glaubt, die Erde habe Risse bekommen.

   Ich wurde nun einmal zufällig Arbeitsfreund einer Künstlerin, die ich seit jungen Tagen von weitem bewunderte. Während früherer Begegnungen waren wir Star und Interviewer geworden. Nun galt es, einem Menschen zuzuhören, der viel zu erzählen hatte und das nicht für sich behalten wollte. Manchmal musste man antreiben, manchmal wieder anhalten.

   Wird über Zarah Leander geschrieben, werden immer die Großbuchstaben hervorgeholt. Man spricht von der Primadonna der Operetten, vom Star der Revuen, von der Königin der Podien und anderem mehr. Gewiss stimmt das, aber das ist nicht die ganze Zarah.

   Im Lauf der Jahre habe ich wohl tausend Rezensionen und viele hundert Interviews gelesen. Wegen all der schönen Worte kann es schwierig sein, den roten Faden zu erkennen, aber man findet ihn dort, wo man sucht. Zarah hat ihn selbst von der allerersten Stunde an gesponnen, ab den frühesten Interviews 1929 – 30. Der feine Faden handelt vom Lied, das für Zarah schon immer von großer Bedeutung als Glanznummer war. In einer Radioserie 1972 erläuterte sie ihre Gedanken über das Lied: --- Das Wichtigste an einem Lied ist, dass es echt ist. Und damit meine ich, dass der Sänger erlebt haben muss, wovon das Lied handelt. Ich kann ehrlich sagen, dass ich eigentlich immer meine Gesänge und Lieder erlebt habe, aber übrigens nicht immer die Operetten- und Revuetexte! Gute Lieder sind nie veraltet. Fünfzig Jahre hindurch behandeln Zarahs Lieder alle Gattungen: fröhliche Lieder und traurige, böse Lieder und freche, freundliche und boshafte. Es waren nicht immer gute Lieder, aber sie wurden von Jahr zu Jahr besser. Das Lied hat eine so bedeutende Rolle für Zarah gespielt, dass sie oft darüber spricht: „Die Gedanken kommen mir, wenn ich in meiner Ecke sitze. Und oft sind es Gedanken mit Tönen. Und ihr glaubt mir nicht, wenn ich das sage, aber meistens überlege ich mir Lieder. Keine großen geflügelten Worte, sondern Lieder von geringerem Format.“

   Gerade ein Lied wie das hier. Ungereimt und ohne Takteinteilung. Wer Musik in sich hat, kann die Töne wahrnehmen, die zu den Gedanken gehören: --- Die Tage sind wie Tropfen gefallen, denn die Zeit weigert sich ja anzuhalten. Ich kann die Grillen nicht länger hören, aber ich kann den blauen Duft des Meeres wahrnehmen. Ich kann die weiße Dunkelheit eine Sommernacht lang fühlen. Nicht einmal vierzig Zigaretten am Tag können den Geschmack der warmen roten Walderdbeeren abschwächen. Meint ihr, ich sollte damit fortfahren, die Wellenkämme und Wellentäler in meinem Leben zu zählen? Die eine Woge ist doch der anderen zum Verwechseln ähnlich. Die See ist jetzt auch nicht so unruhig, man treibt auf weichen Wellen dahin. Das, was günstig nahe liegt, ist nicht interessant. Man ist doch auf dem Weg zum Meer und zum Horizont --- das ist spannend.


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