Paul Seilers ZARAH LEANDER Archiv

roter Pfeil A R C H I V 1981 - 3

Alle Bilder, Fotos, Zeitungsausschnitte etc. aus dem Jahre 1981




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Die ganz große Geliebte 

Günther Rühle, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.06.1981

Nie haben die Deutschen einen Kinostar mehr geliebt und verehrt als die Schwedin Zarah Leander. Es war ein süchtiges Verhältnis – von dessen Nachhaltigkeit sich mancher bei ihrer Wiederkehr in den fünfziger und sechziger Jahren überzeugen konnte, der ihre großen Jahre noch nicht miterlebte. Die Jahre des Zarah-Leander-Rausches waren die zwischen 1937 und 1942. Es gab kaum jemanden, dem die tiefe, fast männliche, oft dröhnende Stimme, die sich aber schnell leicht, elegant keck, kokett und kapriziös geben konnte, nicht im Ohr klang, dem das schöne Gesicht, das sich dramatisch verdüstern, sinnlich verschleiern, tränenreich glänzen und auch die Heiterkeit einer überlegenen Frau gewinnen konnte, nicht vor Augen stand.

Zarah Leander war im Jahr 1936 für manche ein Fund in der Not und bald eine hochbezahlte Entdeckung. Niemand im deutschen Film hat eine höhere Gage bekommen, niemand wurde bald mehr inszeniert als sie. Ihre Berliner Premieren waren – von ihrem ersten deutschen Film "Zu neuen Ufern" an – großgemachte Ereignisse, halbe Staatsakte, mit langer Wagenanfahrt, Herrenbegleitung im Frack für die Diva und Spalier derer, die der Ufa-Pressechef Carl Opitz, ein Arrangeur sondergleichen, in die sanfte Hysterie der weit ins Land ausstrahlenden Vorerwartung versetzt hatte.

Es gab damals manche Filmpremiere, die ereignishaft war; Filme mit Jannings, mit Krauß, mit Heinrich George, große Schauspielerfilme. Die Zarah-Leander-Filme ließen nicht die Schauspielkunst, sondern das Kino triumphieren, das schwellende Gefühl, die Geschichten von der großen Liebe, von denen der kleine Mann und seine Frau träumten, das Lehrmädchen wie die Stenotypistin und der pubertierende Pennäler. Sie war alles in allem: das Weib, die Frau, die Dame, die Treue, die Untreue, die Liebesschmerzensreiche. In ihren Augen war sowohl die Verführung wie das Flehen. Wieviel Tränen sind vor "La Habanera", dem "Herz einer Königin" (sie spielte Maria Stuart), der "Rauschenden Ballnacht", dem "Weg ins Freie" oder in der "Großen Liebe" geweint worden. Mit ihren Liedern "Der Wind hat mir ein Lied erzählt" oder "Ich steh im Regen und warte auf dich" hat sich mancher seinen Seelenschmerz an- oder weggesungen. Und mit der zunehmenden Katastrophenangst in Deutschland wurden 1941 "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen" oder "Davon geht die Welt nicht unter" zu Hoffnungs- und Trotzliedern.

War diese große, stattliche Person mit dem "tollen roten Haar" und der "höchst eigenartigen Stimme" eine Schauspielerin? Sie selbst hat das verneint. Waren ihre Filme Kunstwerke? Sie hat sie allesamt – trotz der fast epidemischen Erfolge – verworfen – außer dem Film "Heimat", weil Heinrich George sie hier bis an die Schwelle der Kunst führte, was .keinem sonst gelang und schon gar nicht dem "tötenden" Willy Birgel. Ihr Stolz waren ihre Lieder.

Sie hatte Mitte der zwanziger Jahre als Couplet- und Chansonsängerin begonnen, in Göteborg und Stockholm. Eine Unbekannte, die aus ihrer Not (gescheiterte Ehe, zwei Kinder) herauswollte, eine "feurige Stute, die ins Freie will". So nahm man sie wahr; und das "gewisse Etwas", das sie gerne besang, wurde durch die Besonderheit ihrer dunklen Stimme verstärkt. Diese Stimme war eine Seltenheit, ein Kontraalt, den viele – was sie böse machte – einen Baß nannten. Je pathetischer man diese biegsame Stimme mit den Jahren einsetzte, um so weniger weiblich wirkte sie. Manchmal schien es, sie habe das Volumen einer Orgel.

  Zarah Leander kam aus der Revue. Sie glänzte in Einzelauftritten. Sie hatte so in Skandinavien Karriere gemacht. Man hörte zuerst von ihr als "lustige Witwe" in Stockholm und Kopenhagen, aber was sie war, sah man erst, als sie in Wien in "Axel an der Himmelstür auftrat", 1936. "Sie siegte allein durch ihre Schönheit", hieß es. Sie siegte mit mehr. Schon die Lieder von damals zeigten, daß sie ein dramatisierender Revuestar war. Sie sang keine Schlager, sondern kurze essayistische Trivialdramen ("Drei Sterne sah ich scheinen ..."). Daß die Ufa nach ihr griff (noch bevor ihr österreichischer Film "Premiere" zu sehen war), war ein Glücksfall – für beide. Ein Fund in der Not. Der bald hofierte Star von Babelsberg wurde schnell zur Primadonna des deutschen Kinos im 3. Reich.

Der Film hatte damals (nach Asta Nielsen) zwei mythische Figuren. Greta Garbo, die schöne Schwedin mit der stillen Faszination, dem Rätselblick, der attraktiven Kühle – und Marlene Dietrich, die Schlank-Kokette, Laszive, Erotisch-Zynische: ein Vamp, den das Kino liebte. Beide waren unerreichbar, in Hollywood. Die Ufa suchte zu ihnen ein Pendant, denn der Ehrgeiz des Hitler-Staates, ein Gegen-Hollywood zu gründen, wurde sichtbar. Die junge Leander hatte mit dem Dietrich-Song („Ich b!in von Kopf bis Fuß") und auch mit Garbo-Parodien ihre Verbindung zu beiden gezeigt. Doch sie war und wurde kein Ersatz, sie war etwas ganz anderes.

Sie wurde aufgebaut als Vamp. Aber sie hatte nur kleine, schöne Spielarten davon. Ihr Gefühlsreservoir war zu groß, Ihre Leidenschaft zu üppig, ihr Temperament zu ungeduldig, ihre Koketterie zu persönlich, ihre Erscheinung zu damenhaft; ihre besten Wirkungen holte sie aus dem Schmachten der Sehnsucht, den Eruptionen ihres brechenden Herzens, den Momenten der Entsagung oder des plötzlichen Glücks und aus ihren Seufzern. Sie spielte gern Frauen, die sich aus Liebe opfern (was kein Vamp tut). Ihr dramaturgisches "Ach" (in: "Der Wind hat mir ein Lied erzählt") war damals eine kleine Sensation. Vergleichbar nur dem hellhörigen "Hoppla", mit dem Lotte Lenya in das Lied der Brechtschen Seeräuber Jenny eine Fermate – die der zwanziger Jahre – gesetzt hatte.

Da sie nie genau andere Menschen spielte, sondern immer nur sich, spielte sie auch immer nur eine Rolle: die der großen Liebenden. Sie brachte das Liebesdrama auf Überlebensgröße. So wurde sie die größte Geliebte des deutschen Films. Wer in seinem eigenen Leben die Eruptionen, Gewitter und Aufhellungen der Liebe nicht erfuhr, konnte hier in ihrem Anblick vergehen. Nach dem Film "Heimat" hielt man sie sogar für eine Tragödin, so sehr erregte sie mit ihren wenigen, aber suggestiven und verführerischen Mitteln die Nerven ihrer Zeitgenossen. Ihre Eindruckskraft war freilich durch vielerlei äußere Umstände gestützt und verstärkt.

Diese Umstände erklären sich aus der politischen Situation. Die NS-Kunst hatte fast alle künstlerischen Entwicklungen der zwanziger Jahre eliminiert. Sie förderte wieder die Kunst der unmittelbaren Beteiligung, der Identifikation von Zuschauer und Rolle. Sie wollte wieder die Dramatisierung des Lebens, die große Empfindung, die übergroß gezeigten Werte. Ehre, Treue, Tapferkeit – aber auch Liebe. Die großen Liebesdramen waren nicht nur Bestandteil des alten Kinos, sondern auch der neuen Tendenz zum übergroßen Gefühl.

 Dennoch entsprach die Leander dem politisch propagierten Frauenbild nicht. Sie war mondän, sinnlich, unpolitisch; sie erschien als Weib, dem nur der Mann die Hauptsache war. Ihre Lieder wirkten (inmitten des Treuekults) eher "sündig", verworfen, frivol. Ihr Typus der Femme fatale gehörte eher zur großbürgerlichen Welt von 1910 als ins Dritte Reich. Sie war deren Nachglanz. Da jene Welt noch in Hitlers Staat hineinreichte, gehörte sie zur geduldeten, und sogar – aus welchen Gründen immer – gepflegten "Gegenwelt". Auch das machte ihren Erfolg aus. Wo das Leben immer enger, straffer, militärischer, gelenkter wurde, verkörperte sie – noch das Schöne, Große, das Private, das nur für sich da sein konnte und das berühmte "Ich bin, wie ich bin". Es war damals schon antiquiert, aber doch noch eine Sehnsucht. So diente sie einer großen Illusion.

 Sechs Jahre wohnte für sie "das Glück in Berlin". 1942 verließ sie (nach den Dreharbeiten zu "Damals"), halb vertragsbrüchig, unversehens Berlin und zog sich auf ihr neuerworbenes Gut Lönö in Schweden zurück. Für viele war das ein Schock, für manche ein Menetekel. Im Gemunkel "Zarah Leander ist fort" (in der Katastrophe von Stalingrad) steckte ein Gefühl von Verlassenwerden, von werdendem Untergang. Der üppigste, allgemeinste, illusionsstärkste Liebesgegenstand war in der beginnenden Kriegsermattung verloren. Ihre Filme verschwanden aus den Kinos. Sie ging, als Goebbels ihr ein Gut schenken und sie zur deutschen Staatsbürgerin machen wollte. Ohne sich direkt mit der Politik zu verbünden, hatte sie "ihre Zeit" genutzt.

In Schweden traf sie auf vereiste Empfindungen, Verleumdung und sogar Haß. Fünf Jahre konnte sie nicht auftreten. Sie begnügte sich mit ihrer Landwirtschaft, Heringzählen, sie nahm Flüchtlinge auf. Es brauchte eine große Strategie, um 1948 erst in Schweden die politische Resistenz zu erschüttern, dann in Deutschland (Saarbrücken, Berlin). Ihre Wiederkehr gelang ihr in Peter Kreuders "Madame scandaleuse" im September 1958 in Wien, auf dem alten Boden. Über sechzig Vorhänge, niemand hatte so ein Comeback erwartet. Es war eine Rückkehr der Erinnerungen, die Fortsetzung jener abgebrochenen Liebe. Und die neuen Filme – von "Gabriele" bis zum "Blauen Nachtfalter" – zeigten, ihre Rollen waren nun vollends von der Zeit überholt. Es war das alte dramatische Kino, was sich hier wieder auftat; sie variierte weiter den Typus ihrer Sängerinnen. In "Bei dir war es immer so schön" sang sie sogar schon ihre alten Lieder von ehedem. So wurde sie das Denkmal ihrer selbst, nichts sonst.

Als sie sich im Herbst 1977 von den Berlinern im Theater des Westens verabschiedete (siehe F.A.Z. vom 15. November 1977), träumten alle in der großen Emotion der zwei Stunden den Traum ihrer gemeinsamen jüngeren Jahre. Es war ein Gemisch von Erinnerung, Heimweh, Trotz und Tränen, Liebeserklärungen, Traurigkeit und jener Selbstironie, die die nüchterne, ihre Erfolge freilich immer voll genießende, sehr selbständige Frau nicht aufgab. Es war ein Gemisch von Herzensekstasen und nahendem Todesgefühl. Diese Diva aus dem Show-Geschäft war der letzte Star der deutschen Kinos, der sich zum öffentlichen Ereignis machen konnte. Sie wurde eine Traumfigur in bedürftiger Zeit.

 

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