Yngve: Gewiss ist Bescheidenheit eine vornehme Eigenschaft - wenn sie echt ist.
Alice: Aber sich selbst in ernster Absicht als Idioten zu bezeichnen, ist wohl ein bisschen lange geübte Herabsetzung der eigenen Person.
Yngve: So dumm ist doch kein Mensch!
Alice: Dumm oder nicht! Man kann auch „schneidig“ sein.
Yngve: Du denkst sicherlich an Zarah Leanders Erklärung, sie sei ein „politischer“ Idiot.
Alice: Du bist Gedankenleser! Kannst du vielleicht genauso leicht herausfinden, ob die Leander ein so besonders geeigneter politischer Idiot war, dass sie während des Dritten Reichs und ihrer eigenen Glanzzeit nicht ahnte, dass Deutschland Krieg führte und dass sie für Soldaten und Offiziere sang, die für Nazismus, für Imperialismus, für einen totalitären Staat kämpften, der andere Nationen terrorisierte? Sie wusste vielleicht nicht einmal, dass Norwegen und Dänemark besetzt waren und dass ihre norwegischen Berufskollegen einen heroischen Kampf gegen Unterdrückung führten?
Yngve: Sicher gibt es Menschen, die auf einem Teilgebiet sehr schlecht abschneiden, während sie auf einem anderen ganz überlegen sind. Sie sind mit anderen Worten Spezialbegabte. Aber Zarah Leanders Entschuldigung halte ich nicht für wahr. Sie ist ganz einfach ein Versuch, sich vor Diskussionen zu drücken, die ihre Stellung noch schwieriger machen könnten als sie ist.
Alice: Man braucht jedenfalls nicht viel Ahnung von der Mentalität der deutschen Herren zu haben, um zu wissen, dass keiner - weder Mann noch Frau (und am wenigsten ein Ausländer) die nazideutsche Propagandamühle hätte in solchen Schwung bringen können, wie es die Leander tat, obwohl sie keinen entsprechenden arischen Stammbaum besaß und ihre Papiere, vom politischen Standpunkt aus gesehen, nicht in Ordnung waren.
Yngve: Selbstverständlich musste sie mit den führenden Männern des Herrenvolks auf sehr gutem Fuß stehen, sonst hätte sie auch niemals ihre Gage, deren imponierende Höhe ständig von den Zeitungen ausposaunt wurde, nach Schweden überweisen können.
Alice: Schon als sie den Vertrag bei der UFA unterschrieben hatte, war sie bei den deutschen Führungskräften gern gesehen. Ich war damals zur gleichen Zeit in Wien wie sie.
Ich traf sie allerdings nicht, aber ich weiß, dass sie sehr stolz auf ihre Bekanntschaft mit den berühmten Herren war. Man sagte allgemein, dass sie mit dem Privatflugzeug von Goebbels nach Berlin gebracht würde. Gott weiß, ob der kleine Mann nicht selbst dabei war, um im Namen der UFA zu verhandeln. Die Wiener, damals noch im freien Österreich, waren ein wenig verwirrt. Sie fanden nämlich nicht, dass die Leander eine Schauspielerin so großen Formats war, um die gewaltige Propagandamühle auszufüllen - sie glaubten wirklich, sie könnte darin verlorengehen, was wahrscheinlich auch geschehen wäre, hätte sie nicht ihre Ritter um sich gehabt.
Yngve: Um auf ihre Erklärung zurückzukommen, finde ich nicht, dass sie auf irgendeine größere Intelligenz hindeutet . . .
Alice (unterbricht lachend): Dass sie sich selbst als Idioten bezeichnet, meinst du?
Yngve: Ich meine es nicht ganz so. Ich glaube, dass es einen besseren Beweis für Intelligenz gegeben hätte - und einen würdigeren - wenn sie sich ehrlich zu ihren Nazisympathien geäußert hätte, gerne mit dem Zusatz, dass sie Überläufer geworden war, als sie das Naziregime mit Abstand betrachtet und durchschaut hatte, was geschehen war und welche Schurken ihre Gönner gewesen waren. Ich würde gern noch weiter gehen: Ich denke, dass Kristina Söderbaums Auftreten sympathischer war.
Alice: Es war auch nobler, verglichen damit, wie man aus Zarah „die Leander“ machte, wie man sie feierte, ihren Glanz über ihr leuchten ließ, ihr Riesengagen zahlte - und ihr gestattete, sie nach Hause mitzunehmen.
Yngve: In diesem Fall hätte ihr Comeback vielleicht nie zustande kommen sollen.
Alice: Du bist also mit mir einig, dass man in Zeiten wie den unsren Politik und Künstlertum nicht trennen kann, nicht darf, nicht muss.
Yngve: Das alles ist eine ziemlich schwer zu lösende Grundsatzfrage. Auch in Norwegen und Dänemark war man bis zu einem gewissen Grad zu nachsichtig.
Alice: Prinzipiell, ja. Aber glaubst du, es könnte ähnliche Ovationen geben wie im Konzerthaus für die Leander, wenn z.B. Hamsun einen Leseabend in Oslo machte?
Yngve: Das ist denkbar.
Alice (heftig): Du bist verrückt!
Yngve (lächelnd): Kann man sich nicht vorstellen, dass es in Oslo möglich wäre, für einen Leseabend mit Hamsun ein paar Tausend gleichgesinnte Menschen zu aktivieren? Kann man sich nicht sogar vorstellen, dass diejenigen, die der Leander zujubelten und sie anfeuerten, gar nicht gegen ihr Privileg waren und ihre Verstöße „ vergessen“ hatten?
Alice: Du meinst, dass das lauter Nazis waren?
Yngve: Ich weiß nicht, wer im Zuschauerraum auf den Rängen saß und jubelte. Es ist ja möglich, dass einzelne Leute wegen „der großen Kunst“ dorthin gingen.
Alice: Andre vielleicht wieder, um ihre rote Mähne und „Pelles Kreationen“ zu betrachten? (Blickt träumerisch drein.) Stell dir nur ein auf Kleider versessenes Frauenzimmer vor, dasZarah in ihrer „einfachen schwarzen Robe mit dem tiefen Dekollete“ erblickt, wie sie sich selbst in ihrer Besprechung über das Comeback geäußert hat.
Yngve: Und denk dran, als sie „Sehnsucht“ sang und „sich das Ganze in ihr löste“. Welches Erlebnis für einen Mann!
Alice: Erst spät erzählt sie in ihrem Bericht, wie sie allmählich eine „kleine Atempause“ erhielt, die nach den inneren Kämpfen sicher dringend nötig war. Sie verwendet die Atempause auch gut. Hör dir das an: „Ich zog mein bordeauxfarbenes Kleid mit schwarzen Spitzen und Umhang aus rosa Seide an. Mein feuerrotes Haar, das ich zuerst in trotzigem Mut gerade nach oben stehen ließ, konnte nun ruhig nach unten fallen.“ Das war wirklich DER GROSSEN KUNST Triumph ! Kannst du mit einem eleganten Kleid, von dem ich höchstens über die Champagnerfarbe und die Paillettenstickerei lesen werde . . .
Yngve: Nein danke. Ich will nicht mehr. Während du in den Kleidern der Leander geschwelgt hast, habe ich nachgedacht.
Alice (spöttisch): Du hast nachgedacht?
Yngve: Ja. Wieder über die Grundsatzfrage. Eine Dame wie die Leander konnte natürlich weder auf die Denkweise noch auf das politische Geschehen Einfluss haben und daher auch keinen direkten Schaden anrichten, zum Unterschied von einem Politiker oder einer anderen Person in einflussreicher Stellung. In dem Fall sollte man ohne Aufregung ganz andere Anforderungen stellen und wohl versuchen „zu vergessen“. Das passt besser mit einer liberalen Denkungsart in einem demokratischen Staat zusammen.
Alice: Vielleicht. Aber ich kann niemals diejenigen vergessen, die in Konzentrations= lagern saßen, die gequält wurden, die mit der Gestapo von Hehlern gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen. Ich kann auch nicht die unübersehbaren Massen vergessen, die von ihren Henkern in die Gaskammern getrieben wurden. Ich kann auch nie die unmenschliche Grausamkeit der Judenverfolgungen vergessen.
Yngve: Das ist doch nicht Zarah Leanders Schuld.
Alice: Reicht es nicht, dass sie mit den Ungeheuern befreundet war, die die Verbrechen begannen? Genügt es nicht, dass sie vor Offizieren und Soldaten sang, die diese Ungeheuer verehrten und deren Verbrechen bewunderten, ja, ihre Komplizen waren. Reicht es nicht, dass sie als Schwedin und ohne zwingenden Grund ihre meist glänzenden Triumphe in demselben Deutschland feierte, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene als die Konzentrationslager und Gaskammern. Mir reicht das. In diesem Fall kann ich weder liberal noch tolerant sein, weil ich überzeugt bin, dass ein gutes Gedächtnis in derartigem Zusammenhang von größter Bedeutung ist. Im Übrigen finde ich keinen plausiblen Grund für die Vergesslichkeit, was für ein großer politischer Idiot die Leander auch immer gewesen sein mag.
Yngve: Sie fiel, wie so manche anderen, einer glänzend durchgeführten Propaganda zum Opfer, einer entsetzlich trügerischen Massensuggestion.
Alice: Natürlich wären das mildernde Umstände für die Zeit vor dem Krieg, als sie noch nichts von dem deutschen Raubrittertum ahnte. Aber warum packte sie nicht ihre Koffer, als sie sah, wohin das in Deutschland führte?
Yngve: Richtig! Aber wir haben an unseren Landsleuten schon oft bemerkt, dass sie von einer ausländischen Umgebung allzu leicht beeindruckt und geblendet werden, ja mitunter derart, dass sie ihr schwedisches Ich ganz vergessen. Dieser Fehler ist ein psychologisches Problem und sicher schwer zu lösen.
Alice ( sitzt stumm und nachdenklich da. Schließlich stellt sie die rhetorische Frage): Hand aufs Herz: Würdest du hingehen, um die Leander zu hören?
Yngve: . . . Ich würde es tun - wenn auch mit einigem Zögern - unter der Voraussetzung überzeugt zu sein, eine so große Künstlerin vor mir zu haben, deren Darbietung ein Erlebnis für mich wäre.
Alice: Schlau geantwortet! Ich könnte nie dorthin gehen. Um so tolerant zu sein wie du, will ich jedoch diejenigen nicht kritisieren, die das tun. Ich glaube nicht, dass die Frauen und Männer, die mit ihren scharf geschliffenen Waffen des Geistes gegen den Nazismus gekämpft haben, nun die Sessel in den Zuschauerräumen strapazieren werden, wo Nazideutschlands große Zarah auftritt. Kannst du dir z.B. vorstellen, Amelie Posse, Ture Nerman, Eyvind Johnson, Johannes Wickman und Torgny Segerstedt, wenn er es erlebt hätte, säßen im Parkett, applaudierten und jubelten der Leander zu?
Yngve: Der Gedanke ist absurd. Dennoch muss ich sagen, dass ein gewisser Unterschied gemacht werden muss zwischen Kollaborateuren, die ihr Land verrieten und Frauen, die sich aus mangelnder Intelligenz verleiten ließen.
Alice (seufzt): Jetzt hat sie immerhin ihr Comeback in dem Land erlebt, das sie offenbar trotz allem liebt. In ihrer Besprechung sagte sie: „Ich bin doch Schwedin und liebe mein Land aus tiefster Seele . . . Aber ich vergesse nun alles, was war . . . “ Dieses „alles“ bezieht sich vermutlich auf die Unfreundlichkeit der Schweden? Nun will sie aber wieder „aufleben und für alte und neue Freunde in diesem herrlichen Land singen.“
Yngve: Ich hoffe jedenfalls, dass sie während des Krieges dieses herrliche Land nicht liebte . . . ja, wie soll ich es ausdrücken? Mit deutscher Gründlichkeit und Liebe. Wenn du verstehst, wie ich es meine.
Alice (springt auf und gibt Yngve einen Kuss): Bravo! Endlich! Und ich glaubte während unseres Gesprächs einmal einen Augenblick, du hättest dich in ihre feuerrote Mähne und ihr tiefes Dekollete vergafft.
Im Januar 1939 besuchte der schwedische König Gustaf V. mit seinem Sohn Kronprinz Gustaf Adolf Berlin, um in der schwedischen Gesandtschaft den höchsten schwedischen Militärorden, das Großkreuz des Schwertordens mit Kette, an Hermann Göring zu überreichen. In diesen Tagen drehte die Leander in den Berliner Froelich-Studios den Film "Es war eine rauschende Ballnacht". Die Königstreue war sicher erfreut, auch ihren König in Berlin zu wissen.
Die beiden Damen, die hier so selbstgerecht plaudern, vergaßen, dass auch ihr König freundschaftliche Beziehungen zum Hitler-Staat hatte: Im Januar 1939 besuchte der schwedische König Gustaf V. (1858-1950) mit seinem Sohn, Kronprinz Gustaf Adolf (1906-1947), Berlin, um Göring höchstpersönlich einen Orden zu übergeben. Außerdem nahm der Kronprinz 1936 an den Olympischen Spielen teil (Springkonkurrenz mit seiner Stute Alma). Auch Deutschlands Fußballnationalmannschaft spielte noch am 5. Oktober 1941 in Anwesenheit des Königs in Stockholm gegen Schweden.
Fazit: Die beiden Damen betrieben auf ihre Art auch Vergangenheitsbewältigung .
Da sie die Goebbels-Tagebücher nicht kennen konnten, fiel es ihnen leicht zu behaupten:
"...dass sie (die Leander) mit dem Privatflugzeug von Goebbels nach Berlin gebracht wurde."
Daher im Folgenden die Stellen aus den Tagebüchern, in denen es um das Engagement der Leander durch den Vizepräsidenten der Reichsfilmkammer Hans-Jakob Weidemann geht, das Goebbels nicht unterstützte: